Modell ist "eindeutig"

Grippe verstärkt Corona-Ansteckung

MITTWOCH, 16. SEPTEMBER 2020

Die neue Grippesaison steht vor der Tür. Wird ihr Beginn Einfluss auf die Entwicklung der Corona-Pandemie haben? Diese Frage haben Wissenschaftler anhand eines Modells versucht zu klären. Die Ergebnisse sind so klar wie beunruhigend. Das Grippevirus macht es dem Coronavirus leichter.
(Foto: imago images /Westend61)

Wenn im Herbst die Grippesaison beginnt, treffen die Influenzaviren auf das Coronavirus. Was dann passieren könnte, beschäftigt die Experten schon jetzt. Forschende des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie (MPIIB) in Berlin und des Instituts Pasteur in Paris untersuchten dafür mithilfe eines mathematischen Modells die ersten Monate der Corona-Pandemie in Europa. Zu diesem Zeitpunkt müssen Grippe- und Coronaviren parallel kursiert haben.

Die Wissenschaftler um den Mathematiker Matthieu Domenech de Cellès modellierten den Verlauf der Pandemie in Belgien, Norwegen, Italien und Spanien, sie bauten die Pandemie sozusagen nach. In den vier Ländern war die Infektionswelle während der ersten Jahreshälfte unterschiedlich stark ausgeprägt. Anhand des Modells konnten die Wissenschaftler dann verschiedene Annahmen zum Einfluss der Grippesaison testen. Mögliche Szenarien waren: Die Grippe verringert die Übertragung von Sars-CoV-2, sie beeinflusst sie nicht oder sie vergrößert das Ansteckungsrisiko.

Um das Infektionsgeschehen realistisch darzustellen, wurden Krankheitsparameter, aber auch Gegenmaßnahmen wie Ausgangssperren und das "Social Distancing" berücksichtigt. Hierfür nutzten die Wissenschaftler den von der Universität Oxford entwickelten sogenannten Stringenz-Index. Er misst die Härte staatlicher Anti-Corona-Maßnahmen von 0 bis 100.

Erhöhtes Ansteckungsrisiko

Die Studie kommt zu einem "eindeutigen Ergebnis", wie die Forscher schreiben. Demnach haben Grippeerkrankungen die Sars-CoV-2-Übertragung im Durchschnitt um das 2,5-fache erhöht. Die Abnahme der durch das Virus ausgelösten Covid-19-Fälle im Frühling sei somit möglicherweise nicht nur auf die ergriffenen Gegenmaßnahmen, sondern auch auf das Ende der Grippesaison zurückzuführen.

Noch ist nicht ganz klar, ob Grippekranke mit höherer Wahrscheinlichkeit Sars-CoV-2 auf andere übertragen oder ob eine Grippeerkrankung Menschen anfälliger für das Coronavirus macht. Letzteres ist aber den Forschenden zufolge wahrscheinlicher. Kürzlich wurde in Laborstudien nachgewiesen, dass Grippeviren eine vermehrte Herstellung von Rezeptoren bewirken, die das Coronavirus benötigt, um an menschliche Zellen anzudocken.

Die Forscher vermuten deshalb auch, dass auch die kommende Grippewelle einen verstärkenden Einfluss auf die Corona-Pandemie haben wird und betonen die Bedeutung von Grippeimpfungen. Die Studie wurde auf der Wissenschaftsplattform medRxiv vorveröffentlicht und muss noch von Fachkollegen begutachtet werden.


Quelle: ntv.de, sba